Über die Unbeliebtheit des Juristen

Juristische Schulung (JuS) 1996, S. 287 - 290

Warum sind Juristen bei Nichtjuristen so unbeliebt? Und wie sollten sie darauf reagieren? Der Beitrag gibt in kurzweiliger Form einige Antworten, die nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zum Nachdenken bestimmt sind.

I. Die juristische Unbeliebtheitsspirale

Anläßlich einer Festansprache hat Wilhelm Wengler einmal auf die "merkwürdige Tatsache" hingewiesen, "daß die gegenwärtige Beliebtheit des juristischen Studiums, wie sie sich in der Zahl unserer Studenten ausdrückt, umgekehrt proportional ist der Beliebtheit der fertigen Juristen in der Meinung ihrer Umwelt"1. Diese Worte sind heute nicht weniger aktuell als zu der Zeit, in der sie ausgesprochen wurden. 1994 hatte das Bayerische Landesjustizprüfungsamt erstmals seit seiner Gründung im Jahr 1812 in der Ersten und Zweiten Juristischen Staatsprüfung mehr als 5000 Teilnehmer zu bewältigen. 1984 hatten sich in Bayern noch 1734 Kandidaten der Ersten Juristischen Staatsprüfung unterzogen; 1994 waren es bereits 3422. Das ist nahezu eine Verdoppelung innerhalb von zehn Jahren. Für 1996 wird mit neuen Rekordzahlen gerechnet. Wenn man jedoch von neuen Bekannten nach seinem Beruf gefragt wird und zugeben muß, daß man Jurist ist, geht es einem häufig auch heute nicht viel besser als Erik Wolf, der in einem solchen Fall einmal die Antwort bekam: "Jurist sind Sie? Ach wie schade!"2. Die Begegnung mit einem Juristen löst bei vielen Menschen nach wie vor eine gewisse Verstimmung aus.

Was das Anwachsen des Juristenberges angeht, gibt es mittlerweile so viele Theorien, daß man ohne Not eine eigene Wissenschaft daraus machen könnte. Über die Gründe, warum Juristen so unbeliebt sind, ist seltener nachgedacht worden. Aber auch darüber können selbstverständlich Theorien aufgestellt werden. Meine eigene Theorie geht dahin, daß diese Unbeliebtheit sich unmittelbar aus der Natur des Rechts selbst ergibt. Das Recht ist nämlich so beschaffen, daß jeder, der sich professionell damit beschäftigt, den Zorn des Publikums mit derselben Notwendigkeit auf sich zieht, mit der ein Bäcker weiß und ein Schornsteinfeger schwarz wird. Je mehr Juristen die Universität verlassen, desto mehr Anlässe zum Zorn gibt es. Je mehr Anlässe zum Zorn es gibt, desto unbeliebter werden die Juristen als solche. Für diese Theorie - ich nenne sie die Theorie der juristischen Unbeliebtheitsspirale - möchte ich im folgenden fünf Gründe anführen. Damit dürfte die Theorie wissenschaftlichen Standards gemäß hinreichend gesichert sein.

II. Was für die Theorie spricht

1. Rechtliche Belehrung ist demütigend

Daß Juristen durchweg unbeliebt sind, hängt zunächst damit zusammen, daß man in rechtlichen Dingen niemand belehren kann, ohne ihn gleichzeitig auf subtile Weise zu verletzen. Jeder Mensch ist gleichsam von Haus aus ein geborener Rechthaber und Besserwisser. Er kommt gewissermaßen mit dem Bewußtsein auf die Welt, daß nur er allein weiß, wie man sich richtigerweise zu verhalten hat, während alle anderen im Grunde keine Ahnung haben. Wie Bismarck einmal gesagt haben soll, trifft man in Deutschland keinen Menschen, der nicht alles besser versteht, von der hohen Politik bis herab aufs Hundeflöhen3. Wer einen anderen verletzen will, braucht ihm daher nur zu sagen, daß er unrecht hat. "Das Unrecht", heißt es bei Gottfried Keller, "ist mit der Dummheit nahe verwandt und ähnlicher Natur"4. Bereits der leiseste Versuch, einen anderen in rechtlichen Dingen zu belehren, hat daher etwas Demütigendes; man gibt dem anderen damit zu verstehen, daß er eine solche Belehrung nötig hat.

Auf solche Belehrungen aber ist der Jurist spezialisiert. Sein Anspruch geht notwendig dahin, daß er über Recht und Unrecht besser Bescheid weiß als jeder juristische Laie. Und seine Tätigkeit besteht darin, die rechtlich Unwissenden ständig zu belehren. Auf manche Gemüter wirkt daher bereits die bloße Existenz eines Juristen wie ein rotes Tuch. Sie fühlen sich dadurch kontrolliert, kritisiert und korrigiert auf ihrem ureigensten Feld, nämlich dem des Besserwissens. Das ist, wie man einräumen muß, gar nicht einmal so unrichtig; diese Kontrolle ist vielmehr sogar der eigentliche Zweck, weshalb es Juristen überhaupt gibt.

Sobald man den Widerspruch einmal erkannt hat, der zwischen dem Anspruch des geborenen Rechthabers und dem des Fachjuristen besteht, kann man nachempfinden, warum vielen die Berührung mit einem Gericht geradezu ehrenrührig erscheint. Aber auch der Rechtsanwalt, der dem Rechtsstandpunkt seines Mandanten zum Erfolg verhelfen soll, wird vom rechtsuchenden Publikum häufig als eine Art Söldner angesehen, dessen eigentliche Aufgabe darin besteht, mit allen Kräften auf den jeweiligen Gegner einzuschlagen. Wie Bockelmann einmal bemerkt hat, fühlen sich selbst nüchtern denkende Menschen "oftmals beinahe gekränkt, wenn ihr Gegner in einem Rechtshandel sich eines Rechtsanwaltes bedient". Mehr noch, die Feststellung: er hat mir durch seinen Anwalt schreiben lassen, werde "häufig in einem Ton der Empörung getroffen, der allenfalls dann berechtigt wäre, wenn man sagen dürfte: er hat Mörder gegen mich gedungen"5.

In Deutschland soll es sich damit sogar ganz besonders schlimm verhalten. Ob es richtig ist, wie man gesagt hat, daß zu den "Zügen unseres Nationalcharakters eine nörgelnde Rechthaberei" gehört, "die uns ... weithin unfähig macht, in Dingen des Rechts eine andere Instanz anzuerkennen als unser eigenes Rechtsgefühl"6, mag offenbleiben. Fest aber steht, daß in Deutschland nicht nur die schlechten Juristen unbeliebt sind, sondern auch die guten7, diese sogar am allermeisten. Das ist ein Teufelskreis, aus dem es so leicht kein Entkommen gibt.

2. Die juristische Fachsprache entrechtet den Laien

Ein zweiter Grund, weshalb Juristen notwendig unbeliebt sind, ist der, daß sie als Professionalisten eine eigene Fachsprache entwickelt haben, die ständig aufs neue den Grimm des Publikums erregt. Die Fachsprache des Juristen ist an sich kein Einzelfall. Wo Fachleute am Werk sind, gibt es auch sonst Fachsprachen, die der Außenstehende nicht versteht. Jeder kennt das Soziologenchinesisch oder das Computerdeutsch der Informatiker. Man mokiert sich darüber, aber man ärgert sich nicht. Mit der juristischen Fachsprache jedoch verhält es sich anders. Denn in dieser Sprache werden Dinge verhandelt, die alle angehen; zugleich aber werden alle außer den Juristen davon ausgeschlossen. Man macht sich manchmal nicht klar, was das für die Betroffenen bedeutet. Aber wer das Recht und das Rechthaben als seine ureigenste Angelegenheit ansieht - und das tun im Grunde alle -, fühlt sich dadurch faktisch enteignet. Er spürt, wie er aus einem Subjekt allmählich zu einem Objekt des Rechts wird, und kann sich nicht wehren, weil er dazu eine Sprache benutzen müßte, die er nicht spricht.

Hier liegt eine der Ursachen, weshalb Juristen immer wieder als Rechtsverdreher gescholten worden sind. Sie machen jeden Rechtshandel allein schon infolge der Sprache, derer sie sich bedienen, mehr oder weniger unter sich aus, und wer davon betroffen ist, steht dabei und weiß nicht, wie ihm geschieht. An sich betrifft dieser Vorwurf alle Juristen; in der Vergangenheit waren es aber häufig die Anwälte, auf die sich der Zorn konzentriert hat. Das bekannteste Beispiel dafür findet sich in einer Bemerkung Friedrich Wilhelms I. von Preußen aus dem Jahre 1713. Als der um das Wohl seiner Untertanen besorgte Monarch den Advokaten nämlich vorschrieb, sie sollten "schwarz gehen mit ein Mäntelchen bis an die Knie", soll er dafür die Begründung angeführt haben: "damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennen und sich vor ihnen hüten könne"8. Leider - muß man sagen - haben die Juristen im großen und ganzen wenig getan, um diesem ungünstigen Eindruck entgegenzuwirken. Viele waren sogar bemüht, das Recht mit allerlei Tricks in ihren Alleinbesitz zu bekommen, damit ihnen niemand auf die Finger sehen konnte. Schon den römischen Pontifices wird nachgesagt, sie hätten die Kenntnis der Geschäfts- und Klageformeln vor dem Volk verborgen gehalten9. Aber auch in Deutschland waren die Arcana des Rechts jahrhundertelang in der lateinischen Sprache verschlossen. Und selbst heute, wo das Recht in der Landessprache daherkommt, ist die Verhunzung der Amtssprache unter dem Einfluß der Juristen so weit gediehen, daß man sich häufig in die Zeit der Latinität zurücksehnt.

§ 10 II 2 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes von 1992 lautet z. B. so: "Als Sonderausgaben können Beiträge zu Versicherungen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb, cc, dd nicht abgezogen werden, wenn die Ansprüche aus Versicherungsverträgen während deren Dauer im Erlebensfall der Tilgung oder Sicherung eines Darlehens dienen, dessen Finanzierungskosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind, es sei denn, das Darlehen dient unmittelbar und ausschließlich der Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes, das dauernd zur Erzielung von Einkünften bestimmt und keine Forderung ist, und die ganz oder zum Teil zur Tilgung oder Sicherung verwendeten Ansprüche aus Versicherungsverträgen übersteigen nicht die mit dem Darlehen finanzierten Anschaffungs- oder Herstellungskosten ..." - ich breche ab, obwohl der Satz noch lange nicht zu Ende ist. In Deutschland werden solche Vorschriften nicht etwa für verfassungswidrig erklärt10; unter Juristen gelten sie vielmehr als konsequenter Ausdruck des Rechtsstaates.

Bei Ludwig Thoma kulminiert der Haß auf das jedem normalen Menschen ungenießbare Juristendeutsch daher geradezu einmal in der Forderung, "daß die Strafkammern durch Laiengerichte zu ersetzen sind, auch wenn dieselben nur mit Packträgern besetzt werden müßten"11.

3. Die juristische Erfolgsrate entspricht dem Zufall

Wer sich mit Prozeßrecht beschäftigt hat, weiß, daß die Unbeliebtheit des Juristen auch mit der Struktur des Prozesses zusammenhängt. Jeder Rechtsstreit wird von zwei Parteien geführt, aber er kann nur von einer gewonnen werden, die andere verliert ihn. Die Erfolgsrate von beiden Parteien zusammen entspricht daher exakt dem Zufall. Das fällt zwangsläufig auf den Juristen zurück. Wie das zugeht, kann man sich am besten am Beispiel des Zivilprozesses klarmachen. Der Zivilprozeß ist eine Art binäres System, in dem der einen Partei nur recht gegeben werden kann, wenn der anderen gleichzeitig unrecht gegeben wird. Von zwei Parteien, die das Gericht betreten, muß daher eine geschlagen das Feld verlassen. Das ist eine Tatsache, an der überhaupt nicht zu rütteln ist. Wenn man daran dieselben Maßstäbe anlegt, mit denen die Mediziner gemessen werden, müßte man sagen, daß die Juristen gleichsam mit einer Mortalitätsrate von 50% operieren. Das ist für die Reputation nicht sehr günstig. Wenn man weiter berücksichtigt, daß häufig jeder ein bißchen gewinnt und damit jeder zugleich auch auf der Verliererseite steht, ist das Verhältnis sogar noch ungünstiger. Dann drängt sich der Eindruck auf, daß praktisch jeder, der in einen Rechtsstreit verwickelt wird, Federn lassen muß.

Einer Partei, die von ihrem Recht überzeugt ist, vom Prozeß abzuraten, ist indessen nur schwer möglich. Allzu leicht entsteht dabei der Eindruck, daß man ihr unrecht gibt. Wer sich für teures Geld einen Anwalt nimmt, will indessen nicht hören, daß er unrecht hat, sondern will in seiner vorgefaßten Meinung bestärkt werden. Kommt ein Anwalt dieser Erwartung nach und die Partei gewinnt, hat er keinen Dank; denn das Recht, so meint die Partei, siegt doch von selbst12. Wenn die Partei dagegen verliert, war der Anwalt schuld, weil er sie nicht vorgewarnt hat. Denn so, wie jeder von seinem eigenen Recht felsenfest überzeugt ist, so erwartet er auch, daß ein Jurist den Ausgang eines Prozesses mit Sicherheit voraussagen kann. Für die Unsicherheit des Rechts fehlt dem Laien jedes Verständnis. Wenn das Recht erkennbar ist, so denkt er sich, muß es vor dem richterlichen Urteil in derselben Weise erkannt werden können wie danach. Soll der Anwalt also gefälligst die Augen auftun; dafür wird er schließlich bezahlt. Ist die Prognose so unsicher, daß sie mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit danebengeht, kann etwas nicht stimmen, sei es mit dem Recht oder mit den Juristen. Auf das Recht läßt der geborene Rechthaber gewöhnlich nichts kommen. Also trifft es den Juristen.

4. Juristen müssen sich gegenseitig beschuldigen

Wer einen Vorwurf, der nicht zu widerlegen ist, nicht auf sich sitzen lassen will, muß ihn weitergeben. Die Logik des Rechts selbst, nach der man nur recht haben kann, wenn zugleich ein anderer unrecht hat, zwingt daher die Juristen, sich gegenseitig selbst in Mißkredit zu setzen. Wenn es von anderen Berufsgruppen gelegentlich heißt, daß dort keine Krähe der anderen ein Auge aushacke, so darf umgekehrt ein Jurist an anderen Juristen nach außen hin kein gutes Haar lassen.

Wenn ein Rechtsanwalt seinem Mandanten erklären muß, warum er den Prozeß verloren hat, obwohl die Sache angeblich ganz sicher war, hat er eigentlich nur drei Möglichkeiten:

(1) Er kann zugeben, daß er sich geirrt hat. Damit bringt er sich selbst in Verruf, und deswegen tut das niemand.

(2) Er kann den Gegenanwalt beschuldigen, dieser habe sich unlauterer Mittel bedient. Aber damit gibt er im Grunde zu, daß der andere sein Handwerk als Interessenvertreter besser versteht. Insofern ist dies ein zweischneidiges Schwert.

(3) Die gängige Erklärung besteht darin, daß die Schuld auf den Richter abgewälzt wird. Dieser habe alles mißverstanden, heißt es gewöhnlich, habe die Partei mit ihrem Vorbringen zu Unrecht nicht gehört und hänge überhaupt falschen Rechtsauffassungen an. Die Parteien glauben das nur allzu gern, und auf diese Weise bekommt auch der Richter einiges ab. Etwas vereinfacht kann man diesen Zusammenhang auch so beschreiben: Je mehr die Leute von ihrem Recht überzeugt sind, desto häufiger wird prozessiert. Je mehr Prozesse geführt werden, desto mehr gehen verloren. Je mehr Prozeßverlierer es gibt, desto unbeliebter werden die Richter. Die Ausuferung des Aufgaben- und Wirkungsbereiches der Justiz geht daher Hand in Hand mit einem Ansehensverlust der Juristen13. Die neuesten Beispiele für diesen Erosionsprozeß stehen fast täglich in der Zeitung. Bei einer prozeßfreudigen Nation setzt sich auf diese Weise leicht der Eindruck fest, daß man ohne Gerichte kein Recht bekommt, aber mit den Gerichten erst recht nicht.

5. Der Jurist vertritt das kälteste aller kalten Ungeheuer

Ein fünfter Grund, weshalb Juristen zwangsläufig unbeliebt sind, liegt darin, daß der Jurist seinem Beruf nach der Hauptvertreter des Staates ist. Als Richter, Staatsanwalt oder Verwaltungsbeamter, als Notar, Diplomat oder Hochschullehrer - in all diesen Funktionen tritt er seinen Mitbürgern als Vertreter des Staates entgegen. Auch der Rechtsanwalt ist davon nicht ganz ausgenommen. Als man 1781 in Preußen die Advokaten abschaffte, geschah dies nicht ersatzlos; sie wurden vielmehr durch verbeamtete Assistenzräte ersetzt14. Auch heute noch ist der Rechtsanwalt immerhin ein "Organ der Rechtspflege" (§1 BRAO), und diese ist selbstverständlich staatlich. Zu dem Staat aber haben die meisten ein distanziertes Verhältnis.

Der Staat erscheint ihnen, wie Nietzsche einmal formuliert hat, als "das kälteste aller kalten Ungeheuer"15. Kälte ist zugleich der immer wiederkehrende Tenor des landläufigen Urteils über Juristen. Der Jurist beleuchtet alles und erwärmt nichts, heißt es mit vorwurfsvollem Unterton. Savigny, dem ungekrönten Idol der juristischen Zunft, wird nachgesagt, daß seine "vielgepriesene Objektivität" nichts anderes gewesen sei als "die vollendetste ... eisige Gleichgültigkeit"16. Damit stimmt der Ratschlag überein, den Savigny einem Schüler einmal mit auf den Weg gab: "Ruhe, Kälte, Leidenschaftslosigkeit"17. Die Kälte aber, die der Jurist ausstrahlt, wird mit Kälte erwidert18. Auch wer den Staat genau umgekehrt mit einer wollenen Jacke vergleicht, muß einräumen, daß der Bürger, "zumal der deutsche, ... immer eher das Kratzende als das Wärmende dieser Jacke" empfindet. Er ist leicht geneigt, für diesen ihm unbehaglichen Zustand diejenigen verantwortlich zu machen, welche die Verordnungen ausdenken und ausführen; das aber sind eben die Juristen19.

Schon zur Zeit der Rezeption hat man die Juristen, sei es zu Recht oder zu Unrecht, als Haupturheber der staatlichen Steuererhebung ausgemacht. "Dieser Doktor hat noch nicht ausgelernt im Recht", lautete damals eine häufig gebrauchte Redensart, "denn er hat noch keine neuen Steuern erfunden"20. Im Grunde ist das Bild des Juristen auch heute nicht viel anders. Der moderne Jurist war zunächst Fürstendiener und ist danach Staatsdiener geworden. Das ist er im Bewußtsein des rechtsuchenden Publikums nach wie vor. Wo immer der Staat kritisiert wird, geraten auch die Juristen mit in die Schußlinie.

III. Kompensationsstrategien

Über die geringe Beliebtheit des Juristen darf man sich nach all dem so wenig Illusionen machen wie über die Unmöglichkeit, daran etwas zu ändern. "Die Juristen wissen, daß sie unbeliebt sind", schrieb Harm-Peter Westermann einmal, "und sie sind bis zu einem gewissen Grade verpflichtet, sich nicht darum zu kümmern"21. Dem wird man schwer widersprechen können. Aber wie soll man mit der Tatsache, daß einen die anderen nicht mögen, innerlich zu Rande kommen? Wie kann man damit leben, ohne seine Selbstachtung zu verlieren? Was für ein Jurist man ist, zeigt sich am besten darin, wie man mit diesem Problem fertig wird.

1. Gleiches mit Gleichem vergelten

Das einfachste Verfahren besteht zweifellos darin, diejenigen, die einen nicht mögen, seinerseits zu verachten und sich über sie zu erheben. Tatsächlich war der Standesdünkel bei den Juristen zu allen Zeiten weit verbreitet. In einem alten Studentenlied hieß es bereits von dem Jurastudenten, daß er nur in feinen Kreisen verkehre, nämlich in solchen, denen er selbst einmal anzugehören hoffte. Das war derjenige Juristenschlag, der um so häufiger vom Volk sprach, je weiter er sich selbst davon entfernt hielt. Eine andere Form dieser Menschenverachtung besteht darin, daß es Juristen geben soll, die das rechtsuchende Publikum nur als eine Herde von Schafen ansehen, die dazu da sind, um kahlgeschoren zu werden. Daß Richter von den Parteien Geschenke annahmen, z.T. sogar forderten, war bis ins 18. Jahrhundert hinein weit verbreitet22. Von den Anwälten hieß es früher sprichwörtlich: "Ein Advokat und ein Wagenrad wollen geschmiert sein." Abraham a Sancta Clara hat die gewissenlosen Advokaten einmal mit zwei Wäscherinnen verglichen, die ihre Wäsche auswinden: "Eine dreht hin, die andere dreht her, bis sie alle Flüssigkeit zugleich herauspressen: sodann werfen sie den Fetzen auf die Seiten"23. Wie man weiß, gibt es heute Wäschetrockner, die noch viel gründlicher arbeiten. Alles in allem ist das aber doch eine schlechte Methode. Juristen, die ihr anhängen, waren niemals eine Zierde ihres Standes. "Es wäre kein Wunder", sagte Luther einmal, "daß Gott ließe die Welt versinken um solcher Schandjuristen willen"24.

2. Sich zu seinesgleichen geseIlen

Besser ist es, sich die Wertschätzung, die einem von den anderen versagt wird, gegenseitig selbst zu verschaffen. Das ist in diesem Fall nicht schwer. Denn wenn Juristen bei Nichtjuristen unausweichlich auf Widerstand stoßen, so sind die Abstoßungskräfte im Verhältnis untereinander wesentlich geringer. "Ich habe nichts gegen Juristen", ließ ein Praktiker, der für seine launigen Äußerungen bekannt ist, kürzlich verlauten, "man gewöhnt sich an den Umgang mit ihnen, wenn man selbst einer ist"25. Mehr noch: Unter Juristen ist der Jurist durchaus beliebt26. Wenn ein Jurist mit anderen Leuten zusammensteht oder -sitzt, sind die anderen gewöhnlich auch Juristen, und man kann wetten, daß sie über irgendwelche Rechtsfälle fachsimpeln und sich pudelwohl dabei fühlen. Dabei kann man allerdings auch übertreiben. Wenn man die vielen Festschriften und Widmungsaufsätze zur Hand nimmt, mit denen sich die Juristen gegenseitig beweihräuchern, sobald sie die 50 überschritten haben27, könnte man meinen, daß alle Juristen nur noch Juristen kennen und daß allesamt ohne Ausnahme Unsterbliches geleistet haben. Das ist vielleicht doch eine Überkompensation.

3. Seine Pflicht erfüllen

Die dritte Methode, mit seiner Unbeliebtheit als Jurist fertig zu werden, liegt auf einer anderen Ebene. Sie besteht darin, sich ständig bewußt zu halten, daß auch der Jurist eine notwendige Aufgabe erfüllt, auch wenn die anderen dies nicht wahrhaben wollen; und zwar notwendig im genauen Sinn des Wortes: Er wendet eine Not ab. Jeder Versuch, die Schlichtung der Ansprüche, den Ausgleich von Schäden, die Aburteilung von Verbrechen und Vergehen Rechtsunkundigen zu überlassen, müßte nämlich, wie Erik Wolf einmal gesagt hat, "zu einer unerträglichen Rechtsverwirrung und damit zu einer allgemeinen Rechtsunsicherheit führen"28. In der Abwendung dieser Not kann man als Jurist seine eigentliche Berufung und damit zugleich sein Selbstbewußtsein finden. Es gibt vielleicht keinen Beruf, in dem mehr von Pflichten die Rede ist als in dem des Juristen. Dem Richter und dem Notar, dem Verwaltungsbeamten und dem Rechtsanwalt, allen sind eine Vielzahl von Pflichten gegenüber der Allgemeinheit auferlegt, die letztlich Pflichten gegenüber dem Recht selbst sind. Denn daß es ein Recht gibt, das diesen Namen verdient, versteht sich nicht von selbst. In der modernen Gesellschaft gedeiht das Recht nur dann, wenn es professionell gepflegt und verwaltet wird. In diesem Dienst am Recht, nicht im Sinne einer engen Paragraphenreiterei, sondern in der Aufrechterhaltung der äußeren Formen eines erträglichen Miteinanders, besteht die eigentliche Aufgabe des Juristen.

Wenn es stimmt, was Kant einmal gesagt hat, stellt sich mit der Erfüllung einer Pflicht ein Gefühl der Selbstzufriedenheit ein, d. h. ein Wohlgefallen, in dem man sich bewußt ist, nichts weiter zu bedürfen29. Wer seine Pflicht erfüllt, erhält auf diese Weise seinen Lohn von selbst. So gesehen haben auch die Juristen viele Möglichkeiten, ihre Befriedigung aus ihrer Tätigkeit selbst zu erlangen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie diese Möglichkeiten zu nutzen wissen und daher auf die weniger guten Methoden, von denen ich gesprochen habe, nicht weiter angewiesen sind.

1. Wengler, NJW 1959, 1705.
2. E. Wolf, Der unbeliebte, aber unentbehrliche Jurist, 1978 (vor I).
3. Rehder, Der Deutsche Professor, 1985, S. 126 f.
4. Zit. nach Heinze, Der ungeliebte Jurist, 1981, S. 87.
5. Bockelmann, in: H.M. Schmidt (Hrsg.), Juristenspiegel, 2. Aufl. (1960), S. 5 (7).
6. Bockelmann (o. Fußn. 5), S. 10.
7. Riezler, Die Abneigung gegen die Juristen, 1925, S. 13.
8. Weißler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft, 1905, S. 310.
9. Kübler, Geschichte des röm. Rechts, 1929, S. 129.
10. Dafür zu Recht Werdermann, MDR 1995, H. 7, S. R 1.
11. Heinze (o. Fußn. 4), S. 84.
12. Bockelmann (o. Fußn. 5), S. 9.
13. Bockelmann (o. Fußn. 5), S. 5.
14. Weißler (o. Fußn. 8), S. 347 ff.
15. Nietzsche, Also sprach Zarathustra ("Von neuen Götzen").
16. v. Ihering, in: Franzos (Hrsg.), Dt. Dichtung, Bd. XIII, 1893, S. 47. Vgl.
17. Oechsli (Hrsg.), Briefwechsel J.K. Bluntschlis mit Savigny, 1915, S. 9.
18. Riezler (o. Fußn. 7), S. 3.
19. Riezler (o. Fußn. 7), S. 7.
20. Janssen, Geschichte des dt. Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters I, 1878, S. 487.
21. Westermann, Über Unbeliebtheit und Beliebtheit von Juristen, 1986, S. 16.
22. Döhring, Geschichte der dt. Rechtspflege seit 1500, 1953, S. 98 ff.
23. Zit. nach Heinemann, Der Richter und die Rechtsgelehrten, 1900, S. 80.
24. Zit. nach Heinze (o. Fußn. 4), S. 54.
25. Teubert, MDR 1995, H. 4, S. R 1.
26. Westermann (o. Fußn. 21), S. 17.
27. Näher Stiefel, JZ 1995, 613.
28. Wolf (o. Fußn. 2), sub VI.
29. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1. Teil, 2. Buch, 2. Hauptstück, II.