Reformitis bavarica

Aus: Juristen-Zeitung (JZ) 1997, 292 f

Der Anschluß an das Weltniveau macht sich vor allem in ungebremster Experimentierfreude bemerkbar. Da dürfen auch die Bayern nicht zurückstehen. Nicht als ob man hier neuerdings die Belastbarkeit der Wirtschaft testen wollte - das nicht. Aber die Belastbarkeit der Hochschulen schon. Vor allem die juristischen Fakultäten sind, wie es scheint, zum bevorzugten Experimentierfeld der Reformer in München geworden. Seit kurzem jagt ein Vorschlag den anderen, und wie es bei einem hochkarätigen Brainstorming nicht anders sein kann, zeichnet sich jeder durch größere Originalität aus. Der zunächst in Bayern eingeführte "Freischuß" war hier nur der Auftakt. Kaum war der dadurch bewirkte Anstieg der Prüfungen durch eine Erhöhung der professoralen Korrekturbelastung nämlich bewältigt worden, setzte der Wissenschaftlich-technische Beirat der Bayerischen Staatsregierung auch schon eine Arbeitsgruppe ein, die sich unter dem zukunftsträchtigen Motto "Universität 2000" an die Aufgabe machte, Humboldt vom Kopf auf die Füße zu stellen. Da, wie jedermann weiß, die Präsenz juristischer Bedenkenträger in solchen Gremien nur störend wirkt, hatte man das Justizministerium gleich gar nicht miteinbezogen. Der wissenschaftlich-technische Sachverstand der in der Arbeitsgruppe versammelten Naturwissenschaftler und Ökonomen befand es infolgedessen für gut, die gerade 1993 abgeschaffte juristische Zwischenprüfung wieder einzuführen. Im übrigen zielten die hier erarbeiteten Vorschläge zur abermaligen Reform des Jurastudiums auf mehr Spezialisierung und Verwendbarkeit des universitären Outputs für die Praxis. Der wirtschaftswissenschaftlich ausgerichtete Diplomjurist erschien den Mitgliedern der Gruppe als ein Gebot der Zeit. In der Tat: Wozu braucht ein Jurist schon Rechtstheorie? Juristische Grundlagenfächer? Aus wissenschaftlich-technischer Sicht: barer Unsinn!

Kurz darauf trat der Justizminister mit eigenen Vorschlägen an die Öffentlichkeit. Das Referendariat, so meinte er, könne abgeschafft werden, ohne das Ausbildungsziel des Einheitsjuristen prinzipiell aufzugeben. Dadurch ließen sich jährlich 300-400 Mio. DM sparen. Hervorragend! Da kann man sehen, welche Innovationskraft von leeren Kassen ausgeht. Ohne diesen Ansporn im Rücken wäre man vielleicht immer noch in dem Irrtum befangen, daß der Einheitsjurist auch einen Blick in die Praxis braucht. Künftig werden die Universitäten die Einheitsausbildung alleine bewältigen. Selbstverständlich durfte da auch der Kultusminister nicht zurückbleiben. Die Semesterregelung, so ließ er verlauten, sei eine Verschwendung von Zeit und Mitteln. Trimester müßten her, um die vorhandenen Kapazitäten voll auszulasten. Und außerdem Zeitprofessuren, das erlaube eine ganz neue Beweglichkeit. Wenn jeder Wissenschaftler seine Qualifikation ständig unter Beweis stellen müsse, werde es zu einer verstärkten Auslese der Besten kommen, ganz wie in der Politik auch.

All dies ließ wiederum den Ministerpräsidenten nicht ruhen. Um im Wettbewerb der Reformer nicht ins Hintertreffen zu geraten, setzte er noch eins drauf. Er könne sich vorstellen, ließ er bei einem Treffen der bayerischen RCDS-Gruppen unlängst verlauten, daß das Pflichtdeputat der Professoren von bisher 8 auf 24 Wochenstunden verdreifacht werde. Bei voller Breite des Faches, darf man hier wahrscheinlich ergänzen. Bravo! kann man da nur sagen. Und: glücklich das Land, wo es genügt, selbst einmal studiert zu haben oder Vater einer Examenskandidatin zu sein, um sogleich zu wissen, unter welchen Voraussetzungen die Rechtswissenschaft am besten gedeiht.

Noch nie zuvor hat man sich in die professorale Mentalität so feinfühlig eingedacht wie gegenwärtig. Die Stimmung an den bayerischen Fakultäten war denn auch nie besser.

Leider, so muß man allerdings einschränken, hat die Wirtschaft dem wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten Diplomjuristen gerade eine Absage erteilt, noch bevor dieses Modell in die Tat umgesetzt wurde. Hoffentlich macht dieses Beispiel nicht Schule. Denn wenn die Reformgeschwindigkeit so hoch würde, daß die Reformideen reformiert werden, bevor sie zu Reformen geführt haben, dann bliebe ja faktisch alles beim alten. Das wäre ausgesprochen schade.