Juristenausbildung - aber wie und wozu?


in: Festschrift für Martinek, München 2020, S. 75 – 88


Auch wenn die Regel "tot homines, tot sententiae" (soviele Köpfe, soviele Meinungen) sich vor allem bei akademischen Rechtslehrern bewähren sollte, weiß ich mich mit dem Jubilar zumindest in dem Punkt einig, daß die Juristenausbildung des Schweißes der Edlen wert ist; geht es dabei doch darum, über welche Fähigkeiten die Juristen von morgen verfügen sollen und wie sich das Recht unter ihren Händen künftig entwickeln soll. Übereinstimmend haben wir uns z.T. extravaganter Methoden bedient, um den spröden Stoff des Zivilrechts den Rechtsbeflissenen nahezubringen.[1] Einmal haben wir dieses Zieles wegen fast sogar die Klingen gekreuzt.[2] Daher wird es der Jubilar wohl mit Nachsicht registrieren, wenn ich die Juristenausbildung auch an dieser Stelle zum Gegenstand einiger Überlegungen mache.

I. Einheitsausbildung für alle
Wer über die Juristenausbildung schreibt, hebt nicht selten mit der Klage an, daß sie von Grund auf verfehlt sei und einer Reform an Haupt und Gliedern bedürfe. Da dieses Lamento so weit zurückreicht, wie man denken kann, darf man schließen, daß die Klagenden entweder selbst nicht wissen, was sie wollen, oder aber ständig von neuen Problemen überrascht werden. Andernfalls hätten sie ja hinreichend Zeit gehabt, die für unabdingbar gehaltenen Verbesserungen durchzusetzen. Freilich hat man es in anderen Berufssparten insoweit leichter: von einem Bäcker erwartet man heute wie früher, daß er Brot und Brötchen liefert. Aber was ist eigentlich die Aufgabe eines Juristen? Wozu genau soll man ihn ausbilden?[3]

Die Schwierigkeiten beginnen bereits damit, daß es den "Juristen als solchen" nur in der Juristenausbildung gibt, danach scheiden sich die Wege. Ein Richter etwa soll Prozesse unparteiisch leiten und entscheiden, ein Anwalt die Interessen seines Mandanten gerichtlich und außergerichtlich vertreten, ein Staatsanwalt das Strafverfolgungsinteresse der öffentlichen Hand durchsetzen, ein Notar Beurkundungs- und Beratungsfunktionen der außergerichtlichen Rechtspflege wahrnehmen, ein Verwaltungsjurist das Agieren der öffentlichen Hand rechtlich kontrollieren usw. In all diesen Berufsfeldern werden z.T. unterschiedliche Fertigkeiten vorausgesetzt. Desungeachtet hält die deutsche Juristenausbildung am Konzept des Einheitsjuristen fest. Danach bekommen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zunächst einmal alle die gleiche Ausbildung. Die Differenzierung beginnt also nicht bei der Studienwahl, sondern erst nach der späteren Berufswahl.

Wer das Ziel der juristischen Ausbildung primär in der Vermittlung berufsspezifischer Fähigkeiten erblickt, hält das in der Regel für verfehlt. Es gibt jedoch durchaus Gründe, die für diese einheitliche Ausbildung sprechen.

1. Vermittlung gemeinsamer Grundlagen
Einmal bauen alle juristischen Berufe auf denselben oder doch sehr ähnlichen Grundlagen auf. Überall bedarf es eines gediegenen Wissens über Recht und Staat im allgemeinen, über Gesetzesauslegung und -anwendung sowie über den Zusammenhang des Rechts mit anderen sozialen Systemen. Schon das legt eine gemeinsame Grundausbildung für alle nahe. Diese empfiehlt sich aber auch deshalb, weil viele in juristischen Dingen sehr unbedarft die Universität betreten. Aber selbst da, wo sich dies anders verhält, reicht das Vorwissen meist nicht aus, um darauf ein spezialisiertes Rechtsstudium aufbauen zu können. Angesichts des Umfangs, den die gemeinsamen Grundlagen aufweisen, lassen sich diese schwer nebenbei vermitteln. Wenn man das gemeinsame Fundament aller juristischen Berufe nicht vernachlässigen will, bietet sich daher kaum ein anderer Weg als der einer gewissen Einheitsausbildung an.

2. Ermöglichung eines innerjuristischen Diskurses
Sodann aber ist es für das Rechtswesen wünschenswert, daß alle Juristen im Prinzip einander verstehen und auf Augenhöhe miteinander kommunizieren können. Exempla docent: Wo Rechtsanwälte nicht über dieselbe Ausbildung verfügen wie Richter, entwickelt sich leicht ein hierarchisches Verhältnis, das sich zwangsläufig zum Nachteil anwaltlich vertretener Parteien auswirkt. Oder ein Beispiel aus der Vergangenheit: als künftige Verwaltungsbeamte als "Regierungsassessoren" noch partiell eine andere, auf "höhere" Ziele gerichtete Ausbildung genossen als künftige Zivil- und Strafrichter, die "nur" Justizassessoren wurden, waren die Richter faktisch zurückgesetzt, worunter auch die richterliche Unabhängigkeit zu leiden hatte. Nur durch eine gleiche Ausbildung läßt sich gewährleisten, daß alle Juristen aus gleichem Holz geschnitzt sind. In einer verrechtlichten Gesellschaft, in der man allerorten Juristen benötigt, erleichtert dies manches. Man begegnet einander mit Respekt, man weiß, wie der andere im Prinzip denkt, womit man also zu rechnen hat und womit nicht.

3. Verständnis des Gesamtzusammenhangs
Schließlich und letztlich besteht die deutsche Rechtsordnung nicht aus zusammenhanglosen Versatzstücken, sondern bildet ein großes System oder ist jedenfalls darauf angelegt, sich zu einem solchen zu entwickeln. Das aber heißt, daß jede Rechtsnorm mit anderen Rechtsnormen vernetzt ist und von diesen inhaltlich mitbestimmt wird. Der Idee nach hängt innerhalb eines solchen Systems alles mit allem zusammen. Man hat daher nicht ganz zu Unrecht gesagt, daß, wer auch nur eine einzelne Rechtsnorm anwendet, zugleich alle anderen zur Geltung bringe. Mag das auch eine Übertreibung sein, so macht sie doch deutlich, daß man mit den Normen eines Rechtssystems nur dann sinnvoll umgehen kann, wenn man zugleich über einen Überblick über das gesamte System ("Verbundwissen") verfügt. Denn wie soll man etwa einen Prozeßbetrug beurteilen können, wenn man nicht auch etwas vom Zivilprozeßrecht versteht? Und wie einen Schadensersatzanspruch wegen Prozeßbetrugs, wenn man außer im Straf- und Prozeßrecht nicht auch im materiellen Zivilrecht zu Hause ist? Und wie eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung, die einen solchen Anspruch zu- oder aberkennt, wenn nicht noch verfassungsrechtliche und verfassungsprozessuale Kenntnisse hinzukommen? usw. Wer nicht über gewisse Grundkenntnisse von allem verfügt, kann womöglich nicht einmal beurteilen, wann er einen Spezialisten zu Rate ziehen muß und ggf. welchen.

II. Theorie und Praxis
Die Ausbildung zum Einheitsjuristen einmal vorausgesetzt, erhebt sich die Frage, worauf sich diese Ausbildung erstrecken soll. Der Rechtsstoff ist mittlerweile derart umfassend, daß im Rahmen einer für alle gleichen Ausbildung nur einzelne Gebiete genauer behandelt werden können und man sich im übrigen mit einem mehr oder weniger detaillierten Überblick begnügen muß. Insoweit gilt es daher, eine Auswahl zu treffen und geeignete Curricula zu entwickeln. Eine wichtige Weichenstellung wird dabei durch die Unterscheidung von Theorie und Praxis vorgenommen, welche die deutsche Juristenausbildung stark geprägt hat. Denn diese erhebt seit langem den Anspruch, sowohl wissenschaftlich wie auch anwendungsbezogen zu sein.

1. Zweistufige Ausbildung
Dieser Wissenschafts- und Praxisbezug findet seinen Ausdruck bis heute darin, daß die Ausbildung zum Einheitsjuristen zweistufig erfolgt: An ein mehrjähriges Studium an der Universität schließt sich die Praxisphase des Referendariats an, das bei Gerichten und anderen Behörden sowie bei Anwälten absolviert wird. Die Idee dabei ist die, daß das Recht und der Umgang damit zunächst unter künstlich vereinfachten Bedingungen erlernt wird und die angehenden Juristen erst im Anschluß daran mit der eigentlichen Realität des Rechts konfrontiert werden. Eine Konsequenz dieses Modells war es, daß die Universitätsausbildung lange Zeit rein "theoretisch" war. Es ging allein um die Vermittlung von Wissensstoff, nicht um den Erwerb praktischer Fertigkeiten. Diese eignete man sich vielmehr in der sich an das Studium anschließenden Praxisphase an. Als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis fungierte allenfalls das Prozeßrecht, das bereits während des Studiums eine Vorstellung davon vermittelte, in welchem rechtlichen Rahmen ein gegebener "Fall" in der Praxis abgearbeitet wurde.[4] Ansonsten aber glich die universitäre Juristenausbildung einem Trockenschwimmen: man lernte alles, was man zum Schwimmen wissen muß, wenn auch außerhalb des Wassers.

Erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an wurden an den juristischen Fakultäten allmählich auch "praktische Übungen" angeboten, in denen die Anwendung von Rechtsnormen auf fiktive Lebenssachverhalte methodisch gelehrt und geübt wurde.[5] Diese Übungen wurden im Laufe der Zeit im Privat-, Straf- und öffentlichen Recht obligatorisch und gewannen schließlich, unterschieden in "kleine" und "große" Übungen, eine immer größere Bedeutung. Wer nicht die Augen verschloß, konnte sehen, daß viele Studenten vor allem für die Übungsklausuren lernten, um die erforderlichen Scheine zu erwerben. Wer "scheinfrei" war, konnte sich unbeschwert der Examensvorbereitung widmen und alles andere schleifen lassen. In den rechtsdogmatischen Vorlesungen hielt die Praxis indessen in anderer Weise Einzug. Der Vorlesungsbetrieb, der nach den großen Kodifikationen zunächst der Erläuterung des Gesetzes gewidmet war, wurde allmählich durch die eingestreute Besprechung von Gerichtsentscheidungen und der Lösung praktischer Beispielsfälle aufgelockert. Auf diese Weise nahm auch die Lehre ausgewählte Aspekte der juristischen Praxis in sich auf und bereitete die Studenten auf typische Situationen des juristischen Berufslebens vor. Manches von dem, was ursprünglich der Referendarausbildung vorbehalten war, fand daher bereits im Studium seinen Platz. Die fällige Konsequenz blieb nicht aus: Das Referendariat wurde im Laufe der Zeit von zunächst dreieinhalb schrittweise auf zwei Jahre verkürzt.

2. Die Grundlagenfächer
Im Hinblick auf das Universitätsstudium wird dabei vor allem auf die Bedeutung der sog. Grundlagenfächer verwiesen. Diese sind mit den rechtstechnischen "Basics" des modernen Rechts nur teilweise identisch, vielmehr wird hier eine Reihe "schöngeistiger" Disziplinen wie Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Juristische Methodenlehre, Rechtssoziologie u.ä.m. unter einem gemeinsamen Oberbegriff zusammengefaßt. Für die Ausgestaltung des Studiums wirft dies die Frage auf, wie sich die dogmatischen und die Grundlagenfächer zueinander verhalten.

Für einen waschechten Gesetzespositivisten, für den das Recht aus dem Gesetz kommt wie das Huhn aus dem Ei, ist das kein Problem. Für ihn sind Grundlagenfächer bloßer Dekor ("Orchideenfächer"). Für jeden, der weiter denkt, stellt sich indessen die Frage, wie das Recht eigentlich in das Gesetz hineinkommt und aus welchen Quellen der Rechtsanwender sonst noch schöpft. Nicht selten ist das Recht tief in der Geschichte verwurzelt und kann losgelöst hiervon kaum angemessen verstanden werden. Zugleich fungiert es als Herrschaftsmittel, mit dem in kaschierter Form klassen- und schichtspezifische Interessen geltend gemacht werden. Und nicht zuletzt ist es ein Ausfluß des zeitlosen menschlichen Ringens um Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Wo man zwischenmenschliche Konflikte auf rechtliche Weise bereinigt, schweigen die Waffen. An deren Stelle treten Argumente, die logischen, philologischen, ethischen und wissenschaftstheoretischen Anforderungen genügen müssen. Wer sich mit dem Recht unter all diesen Aspekten befaßt hat, denkt anders und geht anders damit um, als wer außer dem positiven Gesetz und der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht viel kennt.

Wenn man die Grundlagenfächer ernstnimmt, könnten sie allein schon ein Studium ausfüllen. Gleichwohl ist das Rechtsstudium – nicht von ungefähr – heute überwiegend anderen Zielen gewidmet.

3. Die dogmatischen Fächer
Der Grund, warum der Staat juristische Fakultäten gründet und diese durch die Einrichtung juristischer Staatsexamina unter Aufsicht stellt, ist nämlich nicht der, daß angehende Juristen einige Jahre über Grundfragen des Rechts nachdenken können, sondern daß fortlaufend qualifiziertes Personal bereitgestellt wird, das die juristische Arbeit erledigen kann, die in einer modernen Gesellschaft anfällt. Der Betrieb des Rechts muß im Interesse aller reibungslos weitergehen, und das kann, so ernüchternd dies für empfindsame Gemüter sein mag, nicht durch Rechtshistoriker, Rechtsphilosophen, Rechtssoziologen usw., sondern nur durch Juristen sichergestellt werden, die auf die typischen Geschäfte der juristischen Praxis angemessen vorbereitet worden sind.

Das juristische Studium ist daher seit der Bismarck'schen Reichsgründung darauf zugeschnitten, daß nicht nur die Grundlagen des Rechts, sondern vor allem das geltende Recht selbst gelehrt wird. Und zwar in einigen Teilen eingehender, im übrigen wenigstens in Gestalt eines Überblicks, damit man sich bei Bedarf rasch darin orientieren kann. Die sog. rechtsdogmatischen Fächer, die dem Wissensstoff des geltenden Rechts als solchem gewidmet sind, machen daher den Löwenanteil des juristischen Studiums aus, neben dem die Grundlagenfächer zwar eine theoretisch bedeutsame, aber praktisch eher bescheidene Rolle spielen.

4. Curriculum für Grundlagen- und dogmatische Fächer
Über die Frage, wie Grundlagen- und dogmatische Fächer in ein sinnvolles Verhältnis gebracht werden können, ist vielfach gestritten worden. Einerseits trifft es zu, daß sich das geltende Recht erst von seinen Grundlagen her ganz erschließt, weshalb diese theoretisch gesehen an den Anfang gehören. Andererseits darf man gerade von Anfängern nicht sonderlich viel Verständnis für diese Probleme erwarten. Die Aufgeschlossenheit für Grundlagenfragen erwächst erst aus dem Studium der dogmatischen Fächer, so daß von einer "wissenschaftlichen Vertiefung" eigentlich erst am Ende des Studiums die Rede sein kann. Die Problematik ist vom sog. "Allgemeinen Teil des BGB" her bekannt, der traditionell am Anfang des privatrechtlichen Studiums steht, obwohl einige Teile davon derart abstrakt sind, daß sie erst von Fortgeschrittenen wirklich verstanden werden können. Man hat daher gelegentlich gefordert, den Allgemeinen Teil des BGB zweimal anzubieten: einmal am Anfang und dann noch einmal gegen Ende des Studiums.[6]

Ähnlich könnte man auch mit den Grundlagenfächern verfahren: ein erster Durchgang für die noch unbedarften Anfänger, gewissermaßen als ein Propädeutikum der Rechtswissenschaft, ein zweiter für Fortgeschrittene am Ende des Studiums, weil man den Sinn der "Grundlagen" vielfach erst hier versteht. Aber natürlich ist das illusorisch, weil das Ende des Studiums faktisch der Examensvorbereitung gewidmet ist und in dieser Phase nur wenige Studenten bereit sein werden, einer Materie, die im Staatsexamen kaum eine Rolle spielt, viel Zeit zuzuwenden. Die Grundlagenfächer müssen daher notgedrungen an den Anfang gestellt werden. Im übrigen kann man allein darauf hoffen, daß die Interessierteren später im Eigenstudium tiefer bohren oder daß sich in dogmatischen Lehrveranstaltungen für Fortgeschrittene hin und wieder die Gelegenheit zu einigen grundlagenbezogenen Exkursen ergibt. Das letztere war früher, als alle Rechtslehrer noch über eine gediegene rechtshistorische Ausbildung verfügten, zumindest für die historische Perspektive gewährleistet. Heute ist darauf eher kein Verlaß mehr. Für die jüngere Generation der Hochschullehrer gilt vielmehr, daß ihre Gemeinsamkeit auf einer anderen Basis beruht als auf einer durchgehenden Vertrautheit mit den Grundlagenfächern im überkommenen Sinn.[7]

Das zeichnete sich bereits in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ab, als allenthalben der Ruf zu vernehmen war, daß die Grundlagenfächer "gestärkt" werden müßten. Denn wie so oft in solchen Fällen war auch hier das Gegenteil gemeint: sie sollten faktisch zu einer Privatangelegenheit derer gemacht werden, die sich dafür, aus welchen Gründen auch immer, interessierten. Tatsächlich muß heute niemand mehr, der sich nicht für ein entsprechendes Wahl- oder Schwerpunktfach entschieden hat, befürchten, im Examen mit Fragen aus diesem Bereich behelligt zu werden. Insoweit "auf Lücke zu setzen", ist daher zur risikolosen Strategie der meisten geworden.

Als "Horizonterweiterungswissenschaft" für alle bietet sich daher nur die "Einführung in die Rechtswissenschaft" an. Ansatzweise war das auch schon früher der Fall; denn auch in der Vergangenheit lief bei weitem nicht alles so, wie es eigentlich gedacht war. Viele Rechtslehrer haben daher ihr Bestes gegeben, um Einführungsbücher zu schreiben, die bestimmt waren, junge Rechtsbeflissene während ihres ganzen Studiums zu begleiten. Aber auch dies fällt mittlerweile schwerer. An vielen Universitäten ist die Vorlesung "Einführung in die Rechtswissenschaft" daher ganz eingeschlafen, an anderen führt sie eine Kümmerexistenz, die sich auf einige wenige Stunden beschränkt, in denen der Aufbau des Studiums und die Technik der "Fallösung" erläutert wird.

5. Universitätsrepetitorium
An die Stelle der Grundlagenfächer, die nach überkommener Vorstellung die Wissenschaftlichkeit des Rechtsstudiums verbürgen sollen, ist de facto überwiegend etwas anderes getreten: das universitätseigene Repetitorium. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil ist das Repetitionswesen keineswegs auf die juristische Fakultät beschränkt.[8] Auch ist der Repetitor durchaus keine neue Erscheinung. Juristische Repetitoren gibt es so lange, wie es juristische Prüfungen gibt.[9] Allerdings waren sie früher außerhalb der Universität angesiedelt und standen im Ruf, ein Hilfsmittel für die Schwächeren und Fauleren zu sein.[10]

Dementsprechend waren die juristischen Fakultäten ursprünglich nicht bereit, an den privaten Repetitorien auch nur ein gutes Haar zu lassen. Allmählich fand man sich jedoch auch hier zu Wiederholungsvorlesungen und Examenskolloquien bereit, die allerdings nicht flächendeckend waren und schon deshalb keine Konkurrenz für den Repetitor darstellten. Ab den 70er Jahren wurden dann jedoch still und leise die Skripten bekannter Repetitoren in die juristischen Bibliotheken eingestellt, zum Teil sogar in mehr Exemplaren als die Lehrwerke renommierter Rechtsgelehrter.[11] Das Ende vom Lied war dies, daß juristische Fakultäten zunehmend dazu übergingen, hauseigene Repetitorien anzubieten, um den Besuch privater "Pauker" entbehrlich zu machen. In Passau wurden speziell für diesen Zweck sogar drei Lehrprofessoren eingestellt. Das letzte Studienjahr ist hier laut Studienordnung ausschließlich dem examensbezogenen Repetitorium gewidmet.[12] Unter dem Strich herausgekommen ist bei all dem allerdings nur, daß viele Studenten die universitären und die außeruniversitären Repetitorien gleichermaßen frequentieren, weshalb das, was ihnen hier doppelt eingetrichtert wird, bei den Prüfungen als Mindestwissen bei allen vorausgesetzt wird. So gesehen bringt das flächendeckende Repetitorium für alle im Ergebnis niemand einen besonderen Vorteil. Es läßt nur den von allen Prüflingen erwarteten positiven Wissensstoff immer weiter anwachsen.

Daß das Ziel, den privaten Repetitor überflüssig zu machen, allen Prognosen zum Trotz[13] verfehlt wurde, ist nicht überraschend. Hätte man sich rechtzeitig klargemacht, wodurch sich ein Privatrepetitor von einem Hochschullehrer unterscheidet,[14] hätte man dies leicht voraussehen können. So aber besteht die Aufgabe einer sinnvollen Organisation des juristischen Studiums mittlerweile weniger darin, dogmatische und Grundlagenveranstaltungen aufeinander abzustimmen, als vielmehr darin, Stoffvermittlung und Repetition in ein halbwegs sinnvolles Verhältnis zu bringen.

III. Berufliche Verwertbarkeit
Obgleich das Jurastudium in Deutschland wegen seiner auf die "Lösung von Fällen" ausgerichteten Didaktik seit langem eine größere Praxisnähe aufweist als in vielen anderen Staaten und daher nicht selten als Vorbild angesehen wird, will in Deutschland selbst der Ruf nach einem noch stärkeren Praxisbezug nicht verstummen. Dies hat zu zwei Entwicklungen geführt, welche eine partielle Abkehr von der "klassischen" deutschen Juristenausbildung bewirkt haben: einmal dem Experiment der einstufigen Juristenausbildung, sodann aber der immer stärkeren Orientierung an der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

1. Einstufige Juristenausbildung
Auch wenn die einstufige Juristenausbildung mittlerweile der Vergangenheit angehört, verdient sie nach wie vor unsere Aufmerksamkeit. Denn hier wurden Erfahrungen gesammelt, die sonst kaum zu erlangen gewesen wären. Davon abgesehen kann man nicht ausschließen, daß dieser Versuch auf veränderte Weise wiederholt wird. Im Zeichen leerer Kassen könnte es für den Staat irgendwann verlockend erscheinen, auf die bisherige Referendarausbildung aller "Volljuristen" zu verzichten und nur für solche Absolventen, die aufgrund ihrer bisher gezeigten Leistungen in den Staatsdienst übernommen werden, ein hauseigenes Traineeprogramm einzurichten, alle anderen jedoch dem freien Markt zu überlassen. Wer keinen Ausbildungsplatz bei einem Rechtsanwalt fände, wäre dann meist arm dran.

Die Bestrebungen, die hinter dem Experiment der einstufigen Juristenausbildung standen, waren unterschiedlicher Natur.[15] Einerseits war man gewahr geworden, daß Studenten aus nichtjuristischen Elternhäusern schwer Zugang zu der Materie des Rechts fanden, weil ihnen der Rechtsbetrieb gar zu fern stand. Deshalb wollte man ihnen möglichst frühzeitig einen Einblick in die juristische Berufspraxis verschaffen und nicht bis zur Referendarzeit damit warten. Zum Teil jedoch gab man sich mit dem Konzept eines learning by doing keineswegs zufrieden, sondern wollte Juristen eines ganz anderen Zuschnitts heranziehen, nicht bloße Rechtsanwender, sondern politisch bewußte Rechtsgestalter, die juristische mit sozialwissenschaftlichen Kompetenzen verbinden sollten und zu "kritisch-emanzipativer Rationalität" – im Klartext: zu "progressiver" Gesellschaftsveränderung – befähigt waren.[16] Durch eine Experimentierklausel[17] wurde in den 70er Jahren den Bundesländern die Möglichkeit eingeräumt, nach weitgehend eigenen Vorstellungen eine einstufige Juristenausbildung einzurichten, deren erfolgreiche Absolvierung dem Zweiten Juristischen Staatsexamen gleichwertig war. Davon wurde an ausgewählten Universitäten[18] in zum Teil sehr unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht.

Da die Vielfalt der praktizierten Modelle[19] die Einheit der juristischen Ausbildung aufzulösen drohte und keines davon Aussichten hatte, allgemein übernommen zu werden, wurde das Experiment dann jedoch nicht fortgesetzt. Wo man sich an das dualistische Theorie-Praxis-System der zweistufigen Juristenausbildung angelehnt hatte, war der sachliche Unterschied zum überkommenen System nicht allzu groß gewesen; wohl aber erwies sich die Ausbildung in Wechselbädern oder Intervallen von Theorie und Praxis als nachteilig, weil sie mit einer kontinuierlichen Stoffvermittlung nicht vereinbar war. Wo man auf eine sozialwissenschaftlich vertiefte Ausbildung in ausgewählten Rechtsgebieten gesetzt hatte, mußte man erkennen, daß die derart angeleiteten Juristen in ihrem speziellen Rechtsgebiet zwar vorzügliche Kenntnisse aufzuweisen hatten, außerhalb dessen aber nicht annähernd in derselben Weise einsetzbar waren wie die Absolventen herkömmlicher Ausbildung.[20] Im Ergebnis bewahrheitete sich daher der Grundsatz: "never change a running system" auch hier.

2. Blick nicht auf das Gesetz, sondern auf die Rechtssprechung
Langfristig gesehen kam es zu einem verstärkten Praxisbezug dann jedoch in anderer Weise, nämlich so, daß Gerichtsurteile in den Lehrveranstaltungen nicht nur colorandi et explicandi causa herangezogen wurden, sondern daß die Juristenausbildung zunehmend überhaupt an der jeweiligen Rechtsprechung ausgerichtet wurde. Dafür lassen sich gute und weniger gute Gründe anführen.

Ein guter Grund ergibt sich aus folgender Erwägung: Zur Zeit der historischen Rechtsschule, als die Grundlagen der modernen deutschen Rechtswissenschaft gelegt wurden, war Deutschland in fast 40 selbständige Territorien aufgesplittert, die alle ihr eigenes Recht und Gerichtswesen hatten. Die Herkulesaufgabe, gleichwohl eine gewisse Rechtseinheit herzustellen, fiel daher der Rechtswissenschaft zu. Mit der Reichsgründung von 1871, der nachfolgenden Kodifikationswelle und der Errichtung des Reichsgerichts als oberstem deutschen Gericht entstand eine völlig neue Situation. Die Herstellung und Aufrechterhaltung der Rechtseinheit fiel fortan der Gesetzgebung und der reichsgerichtlichen Judikatur zu. So gesehen war es naheliegend, daß sich die Aufmerksamkeit auch im Rahmen der Juristenausbildung verstärkt auf das förmliche Gesetz und die höchstrichterliche Rechtsprechung richtete.[21]

Ein weniger guter Grund war der, daß auch die zunehmende Ausrichtung des akademischen Unterrichts und vor allem der Prüfungen an der Lösung von "Fällen" die Hinwendung zur aktuellen Rechtsprechung nach sich zog. Als man damit begonnen hatte, die Rechtslehre durch Fallösungen anschaulicher zu gestalten, waren dies zunächst meist "Schulfälle" gewesen, anhand deren man bestimmte normative Probleme besser darstellen und prüfen konnte. Wie man sich leicht überzeugen kann, sind gute Schulfälle jedoch rar. Jedenfalls gibt es nicht annähernd so viele, daß ein Repetitor nicht in der Lage wäre, sie alle zu sammeln und auch den Unbedarftesten einzuhämmern. Also mußten für die Prüfungen immer neue Fälle gefunden werden. Was lag da näher, als sich dafür aus der ständig sprudelnden Quelle höchstrichterlicher Entscheidungen zu bedienen und Prüfungsfälle daraus "zusammenzubasteln"?

Auf diese Weise wurde die Juristenausbildung langsam, aber stetig von den großen Fragen des Systems abgelenkt und auf das Ephemere, auf die Zufälligkeit des Alltagsgeschäfts fokussiert. Wenn beschwichtigend gesagt wird, die Studenten würden zu einem "kritischen Umgang" mit der Judikatur angeleitet, ist das großenteils Selbstbetrug. Denn selbstverständlich weiß jeder, was in den unter der Regie von Assistenten stehenden vorlesungsbegleitenden "Arbeitsgemeinschaften" abgeht. Erst recht ist jedermann klar, womit ein Examenskandidat in der Regel zu rechnen hätte, der seine Klausuren mit noch so guten Gründen entgegen den höchstrichterlichen Entscheidungen, nach denen sie vom Aufgabensteller konzipiert wurden, lösen würde. Da auch die Kandidaten dies wissen, besteht die Examensvorbereitung typischerweise nicht im kritischen Hinterfragen von Leitentscheidungen, sondern im Memorieren von Leitsätzen.

IV. Jurist in einer veränderten Welt
Für viele sind die eingetretenen Veränderungen längst zur Normalität geworden, von der man wie selbstverständlich ausgeht. Denn mittlerweile haben sich neue Aufgaben in den Vordergrund geschoben, die bewältigt werden müssen. Das immer engere Zusammenwachsen der Welt, die Zunahme internationaler Beziehungen rückt in bisher nicht gekanntem Maße fremde Rechte in den Blick. Der Zusammenschluß zahlreicher europäischer Staaten zu einer supranationalen Rechtsgemeinschaft stellt zusätzliche Anforderungen an alle juristischen Berufe. Im Gegenzug macht sich die Tendenz bemerkbar, die ständig erhöhte Komplexität auf unterschiedliche Weise zu reduzieren, wenn man so will: der zunehmenden Verrechtlichung auf der einen Seite durch eine Entrechtlichung auf der anderen zu begegnen. Freilich geht auch dies mit eigenen Anforderungen einher.

1. Europäisierung des nationalen Rechts
Die europäische Einigung war nur Zug um Zug mit einer gewissen Rechtsangleichung möglich. Da man weder die nationalen Rechte von jetzt auf nachher durch ein Jus Europaeum ersetzen noch abwarten konnte, bis sich dieser Prozeß auf habituelle Weise von selbst vollzog, bediente man sich eines neuartigen Instruments: der europäischen Richtlinie. Der Idee nach werden damit für ausgewählte Rechtsgebiete gemeinsame Ziele festgelegt, die von den Mitgliedstaaten im Rahmen ihres nationalen Rechts auf je eigene Weise verwirklicht werden. Die nationalen Rechtsordnungen bleiben dabei im Prinzip erhalten, sind jedoch zunehmend von "Inseln" durchsetzt, die sich europäischen Vorgaben verdanken und in das überkommene System nicht immer einfügen. Die Forderung nach richtlinienkonformer Auslegung, die sich aus der angestrebten Rechtsvereinheitlichung ergibt, erschwert es, solche Systembrüche auf dem traditionellen Weg der systemkonformen Auslegung zu lösen. Weitere Probleme ergeben sich daraus, daß die Richtlinien in mehr als zwanzig Sprachen vorliegen und in jeder Fassung im Prinzip gleichermaßen verbindlich sind.[22]

Aber auch davon abgesehen gestaltet sich der Umgang mit europäischen Richtlinien anders, als man es vom autonomen deutschen Recht her gewohnt ist. Der Gesetzgebungsstil des europäischen Richtliniengebers entspricht in keiner Weise dem durchrationalisierten Duktus eines "klassischen" deutschen Gesetzes, sondern erinnert nicht selten an den Versuch, in einem juristischen Niemandsland Fuß zu fassen. Um den Exegeten über die Absichten des Richtliniengebers zu belehren, sind den Richtlinien meist umfangreiche "Erwägungsgründe" vorangestellt. Obwohl diese nicht zum Regelungsgehalt der Richtlinien gehören, werden sie dennoch bei der Auslegung maßgebend herangezogen. Die Gesetzesauslegung, die in Deutschland nach dem Ende des auch auf Rechtswissenschaft und -praxis einwirkenden "Führerkults" eine betont objektive Prägung angenommen hatte, wird dadurch erneut zur subjektiven Sinnermittlung, zur Unterwerfung unter die Intentionen der politischen Führung.

Im Ergebnis gestaltet sich die Rechtsanwendung im europäischen "Mehrebenenmodell" zu einer überaus komplizierten Prozedur: Wie bisher schon, muß der Exeget vom nationalen Recht ausgehen, muß dieses verfassungskonform auslegen und dabei sowohl die höchstrichterliche Rechtsprechung wie auch die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts beachten. Desweiteren jedoch muß er das Gesetz mit den einschlägigen Richtlinien abgleichen, denen nach verbreiteter Auffassung ein Anwendungsvorrang selbst vor der Verfassung zukommt. Zu diesem Beruf muß er den Sinn der vielsprachigen Richtlinien unter Berücksichtigung der langatmigen "Erwägungsgründe" ermitteln, wobei unter anderem die Judikatur des EuGH im Auge zu behalten ist. Wer all diese Hürden genommen hat, gelangt zuletzt endlich dahin, sich dem eigentlichen Ziel jeder Rechtsanwendung zuwenden zu können, das bekanntlich darin besteht, ein bestimmtes Sachproblem einer angemessenen Lösung zuzuführen. Wie all dies in einer Weise möglich sein soll, die den methodisch geforderten Standards wissenschaftlich fundierter Rechtsanwendung genüge tut, ist nicht leicht zu beantworten. Durch die vorübergehend angestrebte Modularisierung und "Bachelorisierung" des juristischen Studiums[23] läßt sich darauf aber kaum vorbereiten.

2. Entformalisierte Verfahren der Streitbeilegung
Seit geraumer Zeit indessen haben Verfahren der Streitbeilegung ihren Einzug gehalten, bei denen diese hypertrophe Kompliziertheit kaum eine Rolle spielt. Gemeint sind nicht die Schiedgerichtsverfahren, mit denen sich vor allem finanzstarke Parteien der staatlichen Gerichtsbarkeit entziehen, sondern die Schlichtungs- und Mediationsverfahren, die sich bei den Rechtsstreitigkeiten des Alltags einer zunehmenden Beliebtheit erfreuen.

Das trifft vor allem für die Schlichtungsverfahren zu, wie sie heute in vielen Branchen angeboten werden. Deren Vorzug besteht aus der Sicht der Beteiligten darin, daß sie leicht durchschaubar, schnell und überaus kostengünstig sind. Vor die Wahl gestellt, bei hohem Kostenrisiko einen bis ins letzte gehenden Rechtsstreit auf sich zu nehmen, sind bei alltäglichen Rechtsstreitigkeiten immer mehr Parteien mit einem vereinfachten Verfahren zufrieden, das für wenig Geld in kurzer Zeit Klarheit verschafft. Während man vor wenigen Dezennien die Bürger noch dazu ermutigt hatte, ihre rechtlichen Möglichkeiten umfassend auszunutzen, versucht mittlerweile auch die öffentliche Hand, Schlichtungsverfahren auf alle erdenkliche Weise zu begünstigen.

Eine andere Möglichkeit der informellen Streitbeilegung ist das Mediationsverfahren, das sich nicht juristischer, sondern nichtrechtlicher Mittel bedient. Entsprechend können als Mediatoren auch Vermittler ohne juristische Sachkunde tätig werden. Indessen bieten auch viele Anwälte zusätzlich Mediationsdienstleistungen an, um ein eventuell sich neu auftuendes Berufsfeld nicht anderen zu überlassen.

Im Ergebnis sinkt durch diese Entwicklung die Zahl der ordentlichen Zivilprozesse immer mehr ab, so daß man bereits vom Ende des Zivilprozesses gesprochen hat.[24] Um frühzeitig darauf vorzubereiten, werden daher bereits an den Universitäten Kurse gefordert, in denen allerlei Schlüsselqualifikationen vermittelt werden, die den Weg in neue, noch unbekannte Berufsfelder öffnen sollen. § 5 a III DRiG schreibt insoweit vor, daß Qualifikationen wie Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Rhetorik und Kommunikationsfähigkeit im Rahmen des Studiums zu berücksichtigen sind.

3. Legal tech
Auf wieder einem anderen Blatt steht, daß sich das überkommene Streitverfahren mit mündlicher Verhandlung für immer mehr Fälle zu einem Anachronismus entwickelt. Je weiter der Gerichtsort vom Wohnort einer oder beider Parteien entfernt liegt, desto weniger ist einzusehen, warum man für eine mündliche Verhandlung eine lange Reise in Kauf nehmen und sich dafür womöglich noch einen Tag frei nehmen soll. Im Zeitalter der Telekommunikation müßte endlich versucht werden, alltägliche rechtliche Auseinandersetzungen auch von der technischen Seite her zu vereinfachen.

Soweit man eine mündliche Verhandlung für unabdingbar hält, wird diese auf Ton- und Bildübertragungen, bei denen Gericht, Parteien und Beweispersonen sich an verschiedenen Orten aufhalten können, immer weniger verzichten können. Möglicherweise wird das schriftliche Verfahren, das eine formalisierte Kommunikation erlaubt, dadurch eine neue Blüte erleben. In diese Richtung weist immerhin, daß die wesentlichen europäischen Gesetzgebungsakte der Einführung strukturell vereinfachter Verfahrensarten gewidmet waren.[25] Unabhängig davon sind viele Rechtsanwälte bereits dazu übergegangen, juristische Dienstleistungen in standardisierter Form unter Einsatz der Datenverarbeitung anzubieten. Partiell automatisierte algorithmenbasierte Beratungs- und Entscheidungssysteme scheinen sich bei kleineren Streitwerten am Markt häufig als attraktiver zu erweisen als der auf einen erschöpfenden rechtlichen Diskurs angelegte Prozeß herkömmlicher Prägung.

Daß die Vorbereitung hierauf ebenfalls (noch) eine andere Ausbildung voraussetzt, als sie in der Vergangenheit üblich war, ist leicht nachvollziehbar.[26] Dabei kommen die traditionellen Aufgaben nicht Wegfall, sie ändern womöglich jedoch ihren Stellenwert.

V. Ausblick
Wer über die Juristenausbildung nachdenkt,[27] macht schnell eine ähnliche Erfahrung wie jeder, der sich sonst mit dem Recht beschäftigt, nämlich daß man dieses nicht auf einige Regeln oder Formeln reduzieren kann, weil sein Wesen, wie kein Geringerer als Savigny einmal bemerkt hat, "das Leben der Menschen selbst [ist], von einer besonderen Seite angesehen".[28] Es ändert sich dementsprechend mit diesem Leben, weil jede Zeit andere Probleme mit sich bringt. Im Grunde muß daher die Juristenausbildung Unmögliches leisten: sie soll auf die Praxis vorbereiten und ihr gleichzeitig ein theoretisches Fundament verschaffen, sie soll an die großen Fragen der Zeit und der Menschheit heranführen und dabei das kleine Einmaleins des juristischen Denkens lehren, sie soll den Sinn für Gerechtigkeit schulen und zugleich auf ein Examen vorbereiten, in dem die Gerechtigkeit keine Rolle spielt, sie soll den Juristen befähigen, überall ordnend und beschwichtigend einzugreifen, ohne sich über die Betroffenen zu erheben usw. Natürlich gleicht das der Quadratur des Kreises. Nur ein Gott, möchte man sagen, kann sich an die Regelung der Juristenausbildung heranwagen. Ein gewöhnlich Sterblicher kann eine solche Aufgabe allenfalls in der Hoffnung in Angriff nehmen, daß die Begabteren den ihnen gemäßen Weg auch in Zukunft selbsttätig suchen und finden werden, wieviele Hindernisse auch immer ihnen ein mißglücktes Reglement dabei in den Weg legt.

Wie überall auf der Welt, gibt es freilich auch hier Kantonisten, die fest davon überzeugt sind, über den Stein der Weisen zu verfügen, und die Lösung aller rechtlichen Probleme durch eine in ihrem Sinn veränderte Juristenausbildung erzwingen wollen. Solche Kollegen in der Fakultät zu haben, führt erfahrungsgemäß dazu, daß wertvolle Lebenszeit aller Beteiligten für nichts und wieder nichts geopfert wird. Der einzig sichtbare Ertrag solcher Kämpfe sind allenfalls ständig weiter anschwellende Studienordnungen, hinter denen die eigentlichen Ziele der juristischen Ausbildung verschwinden.

Wie beneidet man da die Zeit, als der preußische Justizminister Friedberg den notorischen Besserwissern seiner Epoche noch entgegenhielt: "Die heutigen Studenten sind weder fleißiger noch fauler als die früheren. Die Menschheit als solche ändert sich nicht ... Die Studenten werden nicht besser, nicht schlechter, Sie mögen Regulative machen, wie Sie wollen."[29] Von ähnlicher Altersweisheit geprägt waren allerdings auch die Worte eines erfahrenen Praktikers, der mir unter vier Augen einmal anvertraute, wenn er jemand sagen höre, daß die Qualifikation der Juristen nur durch eine grundstürzende Ausbildungsreform gewährleistet werden könne, dann wisse er sofort, daß er da einen Narren vor sich habe. Wie wahr, möchte man dies kommentieren. Denn die beiden ersten Erfordernisse einer guten Juristenausbildung sind noch immer die, daß sich nur solche jungen Menschen dieser dornenreichen Ausbildung unterziehen, die sich dafür überhaupt eignen, und daß es zweitens Rechtslehrer gibt, die durch ihr persönliches Vorbild ihnen dabei helfen, den ihnen gemäßen Weg zu finden und dabei ihr Bestes zu geben. Aber eben davon ist bei überzeugten Vorschriftenmachern selten die Rede, weil deren Ideal mehr darin besteht, die Adepten des Rechts zu knuten und zu gängeln als sie behutsam zu leiten. Rechtslehrer, die ihren Schülern etwas Wesentliches mitzuteilen haben, haben indessen zu allen Zeiten nach Mitteln und Wegen gesucht, dies auch in die Tat umzusetzen. Wer das Glück hatte, solchen Lehrern zu begegnen, kann nur hoffen, daß sie auch in Zukunft nicht aussterben und sich durch keine Studienordnung der Welt davon abhalten lassen, das zu sagen, was im Interesse des Rechts von morgen bereits heute gesagt werden muß.

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[1]Martinek, Grundlagen-Fälle zum BGB: Die Wilhelm-Busch-Fälle, 2000; 3. Aufl. (zusammen mit Omlor) 2017; Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys, 1995; 2. Aufl. 2009.
[2]Braun, ZRP 1998, 41; Martinek, ZRP 1998, 201.
[3]Zur älteren Diskussion vgl. die Gutachten von Oehler und Richter, Verhandlungen des 48. DJT, Bd. 1, Teil E und F sowie Bd. 2 (Sitzungsbereichte), Teil P, 1970, jeweils m.w.N.
[4]Vgl. etwa Claproth, Grundsäze von Verfertigung der Relationen aus Gerichtsacten mit nöthigen Mustern. Zum Gebrauch der Vorlesungen. Nebst einer Vorrede vom Verhältnis der Theorie und der Ausübung der Rechtsge-lehrtsamkeit, 4. Aufl- 1789.
[5]Vgl. E. E. Hirsch, in: Jherings Erbe (hrsg. von Wieacker und Wollschläger), 1970, 89.
[6]Praktiziert u.a. in Passau in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts.
[7]Das übersieht Stolleis, JZ 2013, 712, bei seinem Plädoyer für die Stärkung der Grundlagenfächer.
[8]Man findet Repetitorien sogar in der Philosophie, vgl. Friedlein, Lernbuch und Repetitorium der Geschichte der Philosophie, 11. Aufl. 1962. Bereits Hegels Schüler Carové und v. Henning veranstalteten Repetitorien zu dessen Rechtsphilosophie.
[9]Lueg, Die Entstehung und Entwicklung des juristischen Privatunterrichts in den Repetitorien, 1994.
[10]Zum Beispiel für Johann Wolfgang v. Goethe und Otto v. Bismarck. Zu Goethe vgl. Dichtung und Wahrheit, Bd. 2, 1812, 354 ff, Bd. 3, 1814, 65. Daß Bismarck "vom Einpauker zugeritten" wurde, vermerkt u.a. Ludwig, Bismarck, 1975, 30.
[11]Dazu die Glossen "Alpmänner im Seminar!!" von Lohrmann und Baur, JZ 1972, 218 f.
[12]Studien- und Prüfungsordnung Rechtswissenschaft der Juristischen Fakultät Passau vom 1. 4. 2019, S. 34.
[13]Vgl. Bornemann, JZ 1954, 738 (739), der prophezeite, daß bei mindestens 30 Repetitoren pro 1000 Studenten "die Zahl der freiberuflichen Repetitoren dahinschmelzen wird wie der Schnee an der Sonne".
[14]Dazu Braun, ZRP 2000, 241.
[15]Näher dazu: Reform der Juristenausbildung (hrsg. vom Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bun-destages), Schriftenreihe "Zur Sache" 5/71, 1971.
[16]Zu den verschiedenen Konzepten vgl. Gutjahr-Löser (Hrsg.), Neues Recht durch neue Richter? Der Streit um die Ausbildungsreform der Juristen, 1975.
[17]§ 5 b DRiG i.d.F. vom 10.9.1971, BGBl I, 1557.
[18]§ 5 b DRiG i.d.F. vom 10.9.1971, BGBl I, 1557. 18 Hamburg, Bremen, Hannover (Niedersachsen), Bielefeld (Nordrhein-Westfalen), Frankfurt a.M. (Hessen), Trier (Rheinland-Pfalz), Konstanz (Baden-Württemberg), Augsburg und Bayreuth (Bayern).
[19]Bekannt geworden unter den Bezeichnungen Loccumer, Münchener und Hamburger Modell.
[20]Dazu Braun, Ein Leben in Deutschland, 2018, 251 f.
[21]Zu den rechtsmethodischen Aspekten dieses allmählichen Paradigmenwechsels vgl. Lepsius, JZ 2019, 793.
[22]Zedler, Mehrsprachigkeit und Methode. Der Umgang mit dem sprachlichen Egalitätsprinzip im Unionsrecht, 2015.
[23]Dazu Seewald, Juristenausbildung und Bologna, Schriftenreihe der Universität Passau Nr. 29, 2007, m.w.N.
[24]Graf-Schlicker, AnwBl 2014, 573.
[25]VO (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines europäisches Mahnverfahrens, ABl EU L 399/1 vom 30.12.2006; VO (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäisches Verfahren für geringfügige Forderun-gen, ABl EU L 199/1 vom 31.7.2007.
[26]Mattig/Kuhlmann, Legal Tech im Jurastudium, Legal Tribune Online am 27. 4. 2017; Spektor/Yuan, NJW 2020, 1043.
[27]Zu den Ergebnissen aus jüngerer Zeit dieser Dauerbeschäftigung vgl. die Berichte des Ausschusses der Kon-ferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Harmonisierung der Juristenausbildung von 2014, 2016 und 2017: justiz.nrw.de/JM/schwerpunkte/juristenausbildung/bericht_ausschuss/KOA-Bericht_November_2014.pdf (bzw. 2016.pdf bzw. 2017.pdf).
[28]Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 2014, 30. Vgl. bereits Ulpian, D 1, 1, 10, 2: "Iuris prudentia est divinarum atque humanarum rerum notitia, iusti atque iniusti scientia."
[29]Goldschmidt, Rechtsstudium und Prüfungsordnung, 1887, 354.